Statistisch wurde jeder Bundesbürger mehr als einmal von einem Strukturvertrieb auf Mitarbeit angesprochen. Bei mir waren es mehr als ein Dutzend Anfragen. Doch was wissen wir über diese spezielle Form des Vertriebes?
Das allgemeine Wissen genauso wie die hauptsächliche Berichterstattung (Unternehmenspublikationen ausgenommen) ist negativ geprägt. Vermutlich liegt das daran, dass mehr als 99 % auf Dauer keinen nennenswerten Erfolg mit einem Engagement in solch einem Vertrieb hatten.
Doch scheinbar ist es für einen Bruchteil der Menschen, die hochmotiviert dem Erfolg und Geld hinterherjagen, möglich dieses auch zu erreichen.
Ein ehemaliger Generalrepräsentant packt aus!
Die erste umfassende Publikation über die Arbeitsweise von Strukturvertrieben schrieb Peter Weghorn, ein ehemaliger Generalrepräsentant eines Finanzstrukturvertriebes.
Sein Werk „Rattenfänger in Designerklamotten“ kann man von zwei Seiten betrachten:
- Anleitung, wie man sich in einem Strukturvertrieb durchsetzt und gewinnt,
- aufklärende Dokumentation, dass man lieber nicht diese (neben-)berufliche Richtung einschlägt.
5 Fragen an Peter Weghorn
Freundlicherweise nahm sich Peter Weghorn Zeit für unsere Fragen, die sicherlich auch für viele Leser interessant sind:
Redaktion: Gibt es „gute“ Strukturvertriebe? Können Sie Beispiele nennen?
Peter Weghorn: Das Strukturvertriebssystem ist wertneutral und ist lediglich eine Form des Direktvertriebs. Um einen Strukturvertrieb beurteilen zu können, muss man neben der Führungsspitze und dem „Mitarbeitervertrag bzw. Provisions- und Karrieremodell“ die Produktpalette beurteilen.
Pauschale Aussagen sind nicht möglich. Zudem ist es so, dass Strukturvertriebe aufgrund ihres Aufbaus einem stetigen Wandel unterliegen, das heißt, was heute „gut“ ist, kann morgen „schlecht“ sein. Der umgekehrte Fall ist mir bisher unbekannt, aber natürlich möglich.
Redaktion: Würden Sie heute Menschen raten sich einem Strukturvertrieb anzuschließen? Warum?
Peter Weghorn: Wenn die Voraussetzungen stimmen und man sich der Risiken bewusst ist, spricht zunächst nichts gegen einen Strukturvertrieb. Da sich häufig junge Menschen, die auf der Jagd nach dem schnellen und großen Geld sind, mit Strukturvertrieben einlassen, würde ich ein Mindestalter von 23 Jahren zur Voraussetzung machen.
In diesem Alter haben die meisten Menschen eine abgeschlossene Berufsausbildung bzw. ein Studium absolviert und können, falls sie im Strukturvertrieb scheitern (das sind circa 99 %), zurück in Ihren Beruf gehen.
99 % scheitern im Strukturvertrieb.
Es gibt natürlich noch eine Reihe anderer Kriterien, die man hier aufzählen könnte, um das Risiko zu begrenzen. Solange die Tätigkeit tatsächlich nebenberuflich erfolgt, ist ein Strukturvertrieb wirtschaftlich gesehen zwar eher uninteressant, bietet aber eine Ersatzfamilie bzw. eine Scheinwelt an, die für den einen oder anderen attraktiv sein kann. Diese Realitätsflucht ist jedoch nur von kurzer Dauer, da im Allgemeinen nur der verbleibt, der Aufträge schreibt.
Redaktion: Kann es eine optimale Finanzberatung in einem Strukturvertrieb geben oder steht das System dem von vornherein im Weg?
Peter Weghorn: Das eine schließt das andere aus, dazu ist die Thematik zu kompliziert. Nicht umsonst ist eine jahrelange Ausbildung im Finanzdienstleistungssektor erforderlich, um kompetente Beratung sicherstellen zu können (und das auch nicht immer, wie wir wissen).
Strukturvertrieb und optimale Finanzberatung schließen sich gegenseitig aus.
Redaktion: Welche Rolle spielt die Manipulation in Strukturvertrieben?
Peter Weghorn: Manipulation beginnt bereits, wenn sich zwei Menschen begegnen. Die Frage ist eigentlich, ob im Rahmen von Manipulation eine Win-win-Situation geschaffen wird, das heißt beide Seiten profitieren. Strukturvertriebe sind pyramidal aufgebaut, also ans große Geld kommt man, wenn überhaupt, erst nach Jahren.
Damit die „Mitarbeiter“ nicht vorzeitig das Handtuch werfen, wird natürlich alles getan, um das System zu stabilisieren. Da die Strukturvertriebsmitarbeiter keine Sozialversicherungsbeiträge entrichten und quasi als Artisten ohne Netz arbeiten, droht natürlich bei einem Scheitern der Totalverlust bzw. Harz IV. Das unterscheidet den „Mitarbeitervertrag“ grundlegend von einem normalen Anstellungsverhältnis.
Sind Strukturvertriebsmitarbeiter de facto nicht existenzfähig, müssen sie durch „Motivationsmaßnahmen“ bei Laune gehalten werden. Strukturvertriebe sind per se nur existenzfähig, wenn viele Indianer das Holz für den oder die Häuptlinge sammeln. Ohne die Indianer müssten die Häuptlinge selbst in den Wald gehen.
So ist aber unser ganzes Wirtschaftssystem aufgebaut.
Redaktion: Inwieweit wird Sex dazu eingesetzt?
Peter Weghorn: Dieses Thema wird überbewertet. Sex ist der Lebensmotor schlechthin, man sehe sich nur in der Natur um. Natürlich wird Sex auch in Strukturvertrieben, meistens als eher indirektes Motivationsmittel, eingesetzt.
Die Sexeskapaden diverser Strukturvertriebsmitarbeiter, wie beispielsweise in der HMI in Budapest, wurden publizistisch ausgeschlachtet, um Umsätze und Einschaltquoten der Medien zu steigern. Berichte darüber zeugen von Doppelmoral und täuschen vor, dass es dies nur in Strukturvertrieben gibt.
Viele Firmen setzen das Mittel Sex zur Leistungssteigerung ein, was meiner Meinung nach auch so lange legitim ist, wie dabei bestimmte Gesetze und Grenzen (Menschenhandel, Armuts- und Zwangsprostitution etc.) nicht überschritten werden. Das Hauptmotiv dafür, in einem Strukturvertrieb zu arbeiten, ist aber nicht Sex, sondern Geld. Und darauf zielen auch die Motivationsmaßnahmen größtenteils ab.
@Peter Weghorn: Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für ein Gespräch mit mir genommen haben! 🙂
„Rattenfänger in Designerklamotten“ ist mittlerweile eine Rarität geworden!
Den Tipp zu diesem Buch erhielt ich von einem guten Freund. Leider musste ich feststellen, dass das Buch im regulären Buchhandel nicht mehr verfügbar ist. So startete ich den Suchagent bei eBay. Auktionen waren selten und gingen zu Preisen deutlich über den damaligen Verkaufspreis weg. Es dauerte tatsächlich Monate bis ich mein Exemplar erhielt.
Wer nicht so lange warten möchte, findet bei Amazon Exemplare. Ebenfalls zu Liebhaberpreisen. Für mich persönlich hat sich der Kauf gelohnt, sonst hätte ich auf eine Vorstellung und Empfehlung verzichtet.
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Bildmaterial: Peter Weghorn · pusti und George Mayer (beide fotolia.com)
Diese Woche läuft eine Umfrage nach den Erfahrungen aus Kundensicht mit Finanzstrukturvertrieben: http://www.optimal-banking.de/data/voting.php
Hey! Ein sehr interessantes Interview, und auch das Buch scheint sehr interessant zu sein. Aber sehe ich das richtig, dass das 50 Euro kostet bei Amazon? Kann man das nicht neu Auflegen?
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